Treffpunkt Justizvollzugsanstalt
Einblick in eine andere Welt
Marion Neumann war beim Treffpunk Justizvollzugsanstalt dabei. Ihren Bericht veröffentlichen wir hier ungefiltert:
Am Ende des Tisches unterhalten sich zwei Männer über ihren vollen Tellern, es gibt Schnitzel mit selbst gemachtem Kartoffelsalat. „Wie lang bist du arbeiten? Kannst heute noch pumpen gehen, oder?“, fragt der eine. Ihr Gespräch wirkt auf mich so locker und vertraut, dass ich beim Zuhören für einen Moment vergesse, in welcher Relation sie zueinander stehen: Es ist ein Insasse der Justizvollzugsanstalt, der die Frage einem Wärter gestellt hat.
Insgesamt acht Häftlinge der so genannten „Behandlungsabteilung“ des Gefängnisses haben sich bereit erklärt, am Dienstag, den 18. November, unsere kleine Gruppe von Besuchern zu empfangen, um im Rahmen des Festivals gemeinsam Mittag zu essen. Untergebracht sind sie in einem Flachbau außerhalb des Haupttraktes, wo sie sich frei bewegenden können, vor dem Haus sogar ihr eigenes Gemüse anpflanzen dürfen. Wer sich hier bewährt, kann als nächsten Schritt richtigen Freigang beantragen.
Trotzdem sind die Auflagen, die an uns als Besucher gestellt werden, streng: Habseligkeiten wie Handy, Geldbeutel und Personalausweis, all die Dinge, die „draußen“ Identität stiften, mussten beim Betreten der Justizvollzugsanstalt abgegeben und eingeschlossen werden.
Nachdem schließlich die Schnitzel gebraten, der Kartoffelsalat angemacht und das Obst für den Nachtisch klein geschnitten ist, sitzen wir nun an einer langen Tafel zusammen, dekoriert mit weißen Tischtüchern und lila gemusterten Servietten. Den Großteil der Küchenarbeit hatten die Häftlinge bereits vor unserer Ankunft erledigt – „damit mehr Zeit zum Unterhalten bleibt.“ Während wir essen, bin ich erstaunt, wie offen mein Tischnachbar von seiner Inhaftierung spricht. Ihm sei es wichtig gewesen, die Zeit im Gefängnis „sinnvoll zu nutzen“: Hier habe er nicht nur seinen Realschul- und Fachhochschulabschluss nachgeholt, sondern auch ein Fernstudium in Politikwissenschaften abgeschlossen.
Auf die Frage, worauf er sich nach über 20 Jahren Haft nach seiner demnächst bevorstehenden Entlassung am Meisten freue, antwortet er: „Ich möchte durch den Wald joggen, in einem Fluss schwimmen und Fahrrad fahren. Inliner fahren wollte ich auch schon immer mal ausprobieren! Das mag blöd klingen, aber was für Sie Alltag ist, ist für mich ein Traum.“
Insgesamt ist die Atmosphäre im Aufenthaltsraum, in dem normalerweise die Fitnessgeräte der Inhaftierten stehen, sehr entspannt. Auch um mich herum scheinen die anderen Besucher die beklemmende Gefängnisatmosphäre vergessen zu haben, die einem beim Betreten der Justizvollzugsanstalt entgegenschlägt. Wärter, ein Sozialarbeiter und die Gefängnispsychologin erzählen ebenso aus ihrem Alltag wie die Häftlinge. Ich bekomme Einblicke in eine vollkommen unbekannte Welt, die voll ist von strengen Regeln und Auflagen – angefangen damit, wie viele Paar Socken ein Insasse besitzen darf.
Während gescherzt und gelacht wird, wirkt die Zusammenkunft nicht mehr wie ein ernster Besuch im Gefängnis, sondern mehr wie das Beisammensein einer Wohngemeinschaft, die ihre Türen einer kleinen Gruppe von Gästen geöffnet hat. Nach zwei Stunden gemeinsames Kochen und Essen fühlt es sich beim Hinausgehen seltsam an, dass nicht alle den Gefängniskomplex verlassen werden.