Treffpunkt Flüchtlingswohnheim
Zu Gast bei Familie Diab
Maximilian Görs war beim Treffpunkt Flüchtlingswohnheim dabei. Seinen Bericht veröffentlichen wir hier ungefiltert:
Die Sonne scheint wirklich prächtig an diesem Mittwochmittag, dem mittlerweile achten Festivaltag. Ich bin unterwegs zum „Treffpunkt: Flüchtlingswohnheim“. Kurz zuvor konnte ich bereits erfahren, dass mich syrisches Essen erwartet und in die Vorfreude mischen sich Gedanken an diesen jungen Konflikt, der bereits mehr als 100.000 Menschenleben gefordert hat. Am Treffpunkt angekommen gerät gleich die erste Vorstellung ins Wanken: ich stehe vor keinem Heim oder improvisierten Unterkunft, sondern vor einem ganz normalen Freiburger Wohnhaus. Wie ich erfahre, bemüht die Stadt angesichts der vielen Flüchtlinge in jüngster Zeit auch Zwischennutzungen in Wohnungen, die sonst vorübergehend leer stünden. Das könnte gern Schule machen, denke ich noch, während ich die Treppen zur Wohnung erklimme, dann würden Flüchtlinge mit uns und nicht am städtischen Rand in Heimen leben.
An der Wohnungstür begrüßt Firas Diab die kleine Gästeschar und bittet uns in das Wohnzimmer der Familie, in welchem bereits eine lange Tafel eingedeckt ist. Eigentlich war geplant, dass alle gemeinsam Kochen, aber das hätte die Gastgeber in ihrer Rolle verletzt – einen Gast, der in der Küche arbeitet, das können sich unsere Gastgeber nicht vorstellen. Die Gäste haben dafür Nachtisch mitgebracht. Schnell kehrt Ruhe ein und ich merke mir und auch den anderen ein kurzes Zögern an. Spricht Firas Deutsch und wie kommen wir eigentlich am besten ins Gespräch? Schnell stellt sich heraus, dass er – wie auch die anderen Mitglieder der Familie – bereits gutes Deutsch spricht. Er berichtet, dass seine Familie zusammen mit der seines Bruders, den Kindern und zwei Schwestern gemeinsam in diesem Haus in zwei übereinander liegenden Wohnungen lebt. Seit 15 Monaten ist die Familie bereits in Deutschland, zunächst in Karlsruhe und dann in Freiburg. Dass die Familie in Süddeutschland gelandet ist, sei einzig und allein einem weiteren Bruder zu verdanken, der in Bad Krozingen als Herzchirurg arbeitet.
Schnell lernen wir auch Firas‘ Schwester Sanaa und Schwägerin Elham kennen, die noch in der Küche beschäftigt sind und nur kurz ins Zimmer schauen. Es werden Getränke und dann auch immer mehr Speisen ins Zimmer gebracht und allen wird klar: es wartet ein gemeinsames Festmahl auf uns! Von einer Auberginenpaste über in Weinblätter gerollten Reis, Salat, gefüllte Teigtaschen bis zu gebratenem Geflügel auf Reis mit Rosinen und Cashew-Kernen reicht die Auswahl und die Freude über die Fülle der Speisen, eine schmackhafter als die andere, ist allen ins Gesicht geschrieben!
Auf unser Drängen gesellen sich auch die beiden Köchinnen Sanaa und Elham dazu, wir sitzen nach kurzem Zögern und zu meinem Erstaunen – ich hatte nach vielen Reisen in arabische Länder eine stärkere Geschlechtertrennung vermutet – bunt gemischt und teilen uns gegenseitig die Speisen aus. Mit den ersten Bissen steigt die Stimmung noch mal, kein Wunder: es schmeckt einfach fantastisch!
Nach und nach stoßen auch Firas‘ Frau Wejolan, sein Bruder Mohammed und seine Schwester Nesreen dazu. Die Gespräche drehen sich ums Essen und einzelne Zutaten und dann auch mehr und mehr um die Situation der Familie als Flüchtlinge in Deutschland. Eine gewisse Zurückhaltung merke ich nicht nur mir, sondern auch den anderen Gästen an. Sicher, mich interessiert natürlich auch der Bürgerkrieg in ihrem Heimatland, was es bedeutet fliehen zu müssen, was sie über die derzeitige Situation in Syrien wissen, ob Verwandte noch dort sind? Aber kann man das in dieser Runde so ungeniert fragen? Bei einem Essen, in der doch gerade erst warm gewordenen Stimmung, Menschen, die man doch erst seit so Kurzem kennt, mit diesem sehr ernsten und sicher nicht angenehmen Thema konfrontieren?
Doch den vorsichtigen Fragen begegnet die Familie offen und auf gewisse Art auch dankbar angesichts des ehrlichen Interesses der Gäste. Von einem Tag auf den anderen sind sie gen Ägypten geflohen, ihre Wohnungen mittlerweile geplündert. Und auch in Deutschland war nicht alles einfach, ohne Arbeitserlaubnis und Aufenthaltsstatus gab es auch kein Angebot an Deutschkursen und letztlich kaum eine Perspektive.
Während des Gesprächs wird in meinem Kopf die Frage groß, die die Leerstelle in ihrer Reise betrifft und die bisher noch kein Thema war: Wie ist die Familie von Kairo nach Deutschland gekommen? Mir ist schon bewusst das Schengen-Visa für Flüchtlinge aus Krisengebieten wohl ebenso ausgeschlossen sind, wie die damit verbundene Möglichkeit, ein Flugzeug oder eine Fähre zu nutzen. Auch so eine traurige Realität, die mir hier noch mal in all ihrer Brutalität bewusst wird: Flüchtlinge nehmen wir in Deutschland auf, aber leider nur, nachdem sie Schleppern tausende Euro bezahlt haben und ihr Leben, das ihrer Familien und Kinder auf seeuntauglichen Fischerkähnen dem Willen profitgieriger Menschen und dem der Grenzschützer von Frontex oder jüngst der italienischen Marine anvertraut haben. Still wird es im Raum und die Scham merke ich nicht nur mir an.
Den Diabs glückte die Überfahrt und damit das Überleben, vielen anderen nicht.
Meine Nachbarin fragt, ob man eigentlich Gepäck mitnehmen könne auf die Boote. Nesreen verneint und macht uns allen noch mal deutlich, was es heißt zu fliehen: Alles zu verlieren, bis auf das eigene Leben und die wenigen Kleider am Leib. Die Familie führte ein gutes Leben in Damaskus, Firas ist Kinderchirurg, seine Frau Wejolan Khousava Architektin, sein Bruder Mohammed Bauingenieur, seine Frau Elham Mutlak Apothekerin und seine jüngste Schwester Englischlehrerin. Von einem Tag auf den anderen war es aus mit ihrem bisherigem Leben und im Exil in Kairo wurde ihnen immer deutlicher, dass ein erhofftes Ende des Bürgerkriegs im eigenen Land in immer weitere Ferne rückt.
Leise Hoffnung wird erkennbar, als die Familie von ihren Kindern berichtet. Diese konnten schnell in Vorbereitungskurse der städtischen Schulen gehen und Mohammeds Tochter ist seit diesem Schuljahr bereits reguläre Schülerin einer fünften Klasse der Staudinger Gesamtschule. Stolz ist dem Vater anzumerken und die Fragen nach seinen beruflichen Chancen wehrt er ab mit der Aussage, dass es ihm während all der Wirren der letzten beiden Jahre nur darauf ankam, das Leben und die Zukunft seiner Kinder zu sichern. Alles andere sei für ihn sekundär. Seine Familie hätte wirklich riesiges Glück gehabt und leise fügt er hinzu, dass dieses Glück leider nur wenigen syrischen Familien und ihren Kindern zuteil wurde.
Die bleierne Stimmung, die den Raum nach diesen Worten beherrscht, wischt Mohammed nach einer kurzen Pause beiseite und fragt in die Runde, wer Lust auf arabischen Kaffee hätte. Dankbar nehmen alle einstimmig das Angebot an, sich wieder der Gegenwart, positiveren Gesprächen und dem mittlerweile servierten Nachtisch zu widmen. Mit einer neuerlichen Runde wunderbarer Köstlichkeiten, diesmal gemischt deutsch-syrisch, und herrlichem Kardamom-Kaffee klingt der berührende Mittag, der mittlerweile eher Nachmittag geworden ist, aus. Mit dankerfüllten Worten und Herzen verlassen wir Familie Diab für diesen Tag!