„Selbst in Ruanda finde ich mein Afrika“
Eine Kritik von Felix Lempp (Studierender Uni Freiburg)
In Kooperation mit dem Deutschen Seminar der UniversitätFreiburg besuchen StudentInnen im Rahmen eines Seminars die Gastspiele des Festivals. Ihre Kritiken veröffentlichen wir hier ungefiltert.
Das Plakat flattert noch einmal am Körper, dann fällt es auch schon. Die Performerin schaut ihm nach und verändert ihre Bewegungen, statt schneller Trippelschritte, deren Tempo das Plakat bisher an ihren Körper gepresst hatte, hüpft sie nun auf der Stelle. Auf dem Boden ist der Aufdruck auf dem Papier deutlich zu sehen: Eine Art Strichcode ist abgebildet, manche der schwarzen Zeichen auf weißem Grund erinnern an Buchstaben, Zahlen. Nach und nach verlieren auch die anderen Performer ihre Plakate, halten kurz inne, hüpfen. Dann erhebt einer von ihnen die Stimme: „La Chefferie!“ Die Vorstellung der versammelten Chefs und Chefinnen beginnt.
Schwarz und Weiß – ein Gegensatz, den man als Zuschauer_in bei einer Performance namens „La nouvelle pensée noire / Das neue schwarze Denken“ irgendwie thematisiert zu sehen erwartet – besonders, wenn man doch schon etwas von Postkolonialismus und den Einflüssen des Schwarz-Seins auf das Weiß-Sein gehört hat. Dass mit „Critical Whiteness Studies“ dem Abend indes nicht Herr zu werden ist, merkt das Publikum im Verlauf der nächsten knapp zwei Stunden schnell. Ebenso rasch wird deutlich, dass der Gegensatz von Schwarz und Weiß nicht der Gegensatz des Abends ist – höchstens einer von vielen. Außer einem Deutschen tanzen und stampfen, rollen und fallen, schreiten und trippeln nämlich Darstellerinnen und Darsteller aus Ruanda, der Elfenbeinküste und der Demokratischen Republik Kongo über die fast leere Bühne. Und während sich der Abend im Stil einer Nummernrevue mit Tänzen, Kabaretteinlagen und Monologen entfaltet, wird plötzlich deutlich: Alle Performenden haben ihren ganz eigenen Blick auf Afrika und die afrikanischen Staaten. Die Grenze verläuft damit nicht nur zwischen „Weißen“ und „Schwarzen“, sondern auch – und teilweise sogar deutlicher – zwischen den einzelnen Nationalitäten. Natürlich werden Klischees bedient, erfrischend an dem Abend aber ist, dass viele davon für europäische Ohren erstaunlich neu sind. Oder hätten Sie gewusst, dass Kongolesen immer gemeinsam tanzen und Ruander eigentlich viel zu groß für echte Afrikaner sind? Wenn schließlich ein ivorischer Performer von seinem Besuch in Ruanda erzählt und dabei letztlich erstaunt ist, „selbst in Ruanda mein Afrika“ zu finden, wird deutlich, dass das Konstrukt einer gesamtafrikanischen Identität, das im thematischen Zentrum des Abends steht, nicht nur in Abgrenzung von Europa, sondern auch und vor allem als Synthese der Traditionen aller afrikanischen Staaten gedacht werden muss. Denn Grenzen gibt es auch in Afrika genug – besonders deutlich werden dem Publikum die der Sprache bewusst, wenn der deutsche Performer Hauke Heumann höchst virtuos den Dolmetscher für seine englisch- und französischsprachigen Kolleginnen und Kollegen – sowie das Publikum – gibt.
Natürlich wird der Gegensatz zwischen Europa und Afrika trotzdem immer wieder aufgezeigt. Wer nach bedeutungsschweren Symbolen sucht, wird viele finden; zum Beispiel wenn sich die Ruanderin Sonia Uwimbabazi vertrauensvoll rückwärts in die Hände des Nachkommens der ehemaligen deutschen Besatzer fallen lässt, während sie über Kolonialzeit und Völkermord berichtet. Es ist aber zweifelhaft, ob eine derartig eingeschränkte Zuschauerhaltung einem Theaterabend gerecht wird, der in seiner Kombination aus Sprache, Tanz und Musik weit vielfältigere Grenzverläufe aufzeigt und diese dabei zwar gerade nicht auflöst, aber als überwind-, weil übersetzbar kennzeichnet.
Das Publikumsgespräch stellte abschließend ein besonderes Beispiel für die Notwendigkeit und Schwierigkeit solcher Grenzüberwindungen dar, wurde es doch zunächst in drei Sprachen abgehalten. Für die Performerinnen und Performer sichtbar überraschend erfolgte nach einer Weile aus dem Publikum der Vorschlag, nur noch auf Englisch und Französisch zu kommunizieren – was aber dazu führte, dass einige deutsche Zuschauerinnen und Zuschauer dem Gespräch nicht mehr folgen konnten. Die Bemerkung einer Zuschauerin, das Fragen auf Deutsch hätte noch mehr Leute ausgeschlossen, mag zwar vielleicht richtig sein. Es stellt sich aber doch die Frage, ob es nicht ein würdigeres Ende dieses beeindruckenden Abend gewesen wäre, die Sprach- und Verstehensgrenzen durch den Ausschluss der deutschen Sprache nicht noch mehr zu zementieren – sondern sie, wie zuvor während der Performance vorgeführt, hartnäckig und trotz zeitlichem Mehraufwand durch Übersetzung zu überschreiten.