„Greetings from Postcapitalism“
Eine Kritik von Clara Anders
In Kooperation mit dem Deutschen Seminar der Universität Freiburg besuchen StudentInnen im Rahmen eines Seminars die Gastspiele des Festivals. Ihre Kritiken veröffentlichen wir hier ungefiltert.
Postmoderne, Poststrukturalismus, Postmilitarismus, Postkolonialismus,
Postindustriell, Postromantisch, Postdramatisch,
Posthumanismus, Post-
Karte.
Nur eine weiße Karte.
„Greetings from Postcapitalism“
Wenn das System innerhalb einer Nacht kollabiert, dann wäre es doch gut ein Stück Land zu besitzen. Eigener Besitz verspricht uns vor allem in Zeiten der Krise Unabhängigkeit und Freiheit. Doch in diesem System besitzen wir tatsächlich nur unsere Kaufkraft. Postkapitalismus bedeutet nicht mehr durch Nutzung, sondern durch Verweigerung und Abwandlung unserer Kaufkraft Unabhängigkeit, Freiheit und Selbstbestimmung zu erreichen.
Der Theaterabend im Postkapitalismus, bei dem nicht mal das Theaterstück jemandem gehört, ist eine Vorschlagsreihe zu alternativen Lebenswegen. Mit Schildern, Worten und Aktionen werden Ideen wie Half-Bread-Technique oder Urban Farming vorgestellt. Von Containern über die Verwendung von Regenwasser, hin zur Stromerzeugung durch Muskelkraft bis zur Human-Manure-Toilette. Bedürfnisse darüber hinaus lassen sich durch Teilen und Tauschen befriedigen. Somit kehren wir zurück an den Ursprung ökonomischer Systeme: der Tausch. Die Möglichkeiten von Crowd-Funding oder Non-Profit-Investment wachrufend, erinnert uns „NOT MY PIECE“ daran, dass wir die Freiheit haben Ideen und Alternativen zu entwickeln. Das System fordert nur die archaische, aber sinnentleerte Zirkulation des Geldes. Doch ironischer Weise hat dieses Werkzeug mit dem wir Handel mitteln nur den Wert von Papier. Unser teures Geld könnte ebensogut eine weiße, zerknitterte Karte in der Hosentasche des Schauspielers sein.
Neben der Freiheit zu Alternativen sind wir im Besitz einer weiteren wichtigen und systemunabhängigen Größe: unsere Lebenszeit. Die im Stück aufgeworfene Idee der Timebank tippt diese elementare Konstitution des Menschen an. Wir haben nur diese eine Zeit, die nicht wiederholbar ist. Wir geben unsere Zeit, um andere zu unterstützen. Nachwievor unter der Erwartung eigene Vorteile zu erlangen, schließlich steckt immernoch der Kapitalismus im Postkapitalismus. Doch worin bestehen die erhofften Vorteile? Schlichtweg in der Absicherung selbst Hilfe erwarten zu können. Es ist die Verabredung darauf erneut Zeit zu teilen, zusammen kreativ zu sein und einander zu brauchen.
Dies auf weiterer Ebene im Stück „NOT MY PIECE“ reflektierend, teilt Martin Schick neben seiner Spielzeit auch seine Bühne und vermutlich auch sein Gehalt mit Kiriakos Hadjiioannou. Während wir auf der rechten Bühnenseite mit postkapitalistischen Ideen zugedeckt werden, erleben wir auf der linken Seite den perfomativen Nachvollzug des Menschen out of balance konfrontiert mit einer Wirtschaftskrise. Zunächst auf einen Kreis aus Licht begrenzt, erfasst die persistente Umsetzung der tänzerischen Bewegungen bald den ganzen halben Raum. Das Augenmerk auf der kraftvollen Körperlichkeit zur rechten wird jedoch unweigerlich durch die Präsenz der Worte auf der linken abgezogen respektive durch Interaktionen zwischen beiden Theaterakteuren unterbrochen. Die zunächst gesuchte inhaltliche Kohärenz besteht indes in der Kopräsenz der beiden Stücke und dem Verweis darauf, dass die Existenz des einen Stücks im jeweils anderen Stück begründet liegt.
Nicht nur diese Verschränkung erklärt den Titel „NOT MY PIECE“. Ebenso die partizipative Interaktion mit den Zuschauern, die „Zeit und Flüchtigkeit als eine eigene Qualität“ (Jan Deck) einführt, erklärt den Titel und unterstreicht die thematische Ebene des Stücks. Am Ende werden die Schauspieler verschwinden. Zurück bleibt ein Raum voller Zuschauer. Doch wem schauen sie jetzt noch zu? Hier ein Angebot: wie wäre es mit etwas Eigen-Engagement for free?
Wir besitzen unsere Lebenszeit, die Freiheit zu Alternativen und unsere Freiheit zu Teilen:
„Welcome to the Age of Postcapitalism!“