„Qualitätskontrolle“

Ein Erlebnisbericht von Katharina Löffert (Studierende Uni Freiburg)

In Kooperation mit dem Deutschen Seminar der UniversitätFreiburg besuchen StudentInnen im Rahmen eines Seminars die Gastspiele des Festivals. Ihre Kritiken veröffentlichen wir hier ungefiltert.


Das gestern Abend zum zweiten Mal in Folge im Theater Freiburg aufgeführte Performanceprojekt „Qualitätskontrolle“ des Labels Rimini Protokoll, löste bei den Zuschauern minutenlangen Applaus und Beifallsrufe aus. Die Produktion von Helgard Haug und Daniel Wetzel mit der nach einem tragischen Unfall vom Kinn abwärts gelähmten Hauptakteurin Maria-Cristina Hallwachs zieht das Publikum gleich zu Beginn der Inszenierung in Bann. Eingeleitet wird das Stück zunächst mit nüchternen Fakten, die das Leben der Darstellerin seit nunmehr 20 Jahren bestimmen: „ich sterbe in 5 Wochen, wenn ich nicht bewegt werde. Ich sterbe in 2,5 Wochen, wenn ich nichts zu essen bekomme. Ich sterbe in 3 Tagen, wenn ich nichts zu trinken bekomme. Ich sterbe in 5 Stunden, wenn die Batterien meines Zwerchfellstimulators mich nicht mehr atmen lassen. Ich sterbe in spätestens 4 Stunden, wenn mich kein Mensch umgibt.“

Die Gruppe Rimini Protokoll stellt hier eine Performerin und Expertin auf die Bühne, deren eigene Biographie im Mittelpunkt einer theatralen Inszenierung steht. Maria-Cristina Hallwachs gibt dem Publikum in einer distanziert-amüsierten Haltung in den folgenden eineinhalb Stunden Einblick in ihr (Familien-) Leben, ihre Vergangenheit sowie ihren Alltag und wirft dabei, nicht ohne einen Blick in die Zukunft zu wagen, elementare gesellschaftspolitische Fragen auf. Die Performerin spricht auf sehr authentische Weise über ihren Genickbruch, die Ethikkommission, die sie überlebt hat, das Mitleid, die schlechten Prognosen und nicht zuletzt die Unsicherheit und Verzweiflung ihrer Eltern. „Irgendwann im Flugzeug der Rettungswacht auf dem Rückflug nach Tübingen macht sich für einen kurzen Moment ein Gedanke im Kopf meines Vaters breit: Hoffentlich stürzt das Flugzeug jetzt einfach ab.“

Während des gesamten Stückes dient Maria-Cristina Hallwachs der digitale Grundriss eines Nichtschwimmerbeckens, ihre Tatwaffe, als Bühne, in das Sie als Abiturientin auf Kreta kopfüber sprang. Zwei weitere Performer/ Pfleger stehen ihr während der Inszenierung abwechselnd zur Seite, werden von der Hauptdarstellerin angeleitet, nehmen ihr die Gestik ab, die sie nicht mehr selbst ausführen kann, spielen mit ihr Inklusion (E-Rolli Fußball), Schiffe versenken und auch „Holocaust-Memory“. Die Performerin berichtet von den Säuberungsmaßnahmen der Behinderten und Kranken während der Zeit des Nationalsozialismus und thematisiert abschließend die neueste Genforschung sowie umstrittene Aspekte von Pränataldiagnostik.

„Wann ist ein Leben lebenswert und wer entscheidet darüber?“ ist eine der Kernfragen, die immer wieder aufgeworfen wird und den Zuschauer dazu anregt, beispielsweise über die persönliche Freiheit des Einzelnen nachzudenken und zu reflektieren. „Qualitätskontrolle“ ist eine Inszenierung, die einerseits Mut macht, ein vom Lebenswillen der Akteurin beeindrucktes Publikum hinterlässt, aber gleichzeitig auch aufrüttelt und einen ungeheuren Nachklang hat.

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