„Dragă Moldova, putem să ne pupăm puţin de tot?“
Eine Kritik von Elaheh Abolfathi (Studierende Uni Freiburg)
In Kooperation mit dem Deutschen Seminar der Universität Freiburg besuchen StudentInnen im Rahmen eines Seminars die Gastspiele des Festivals. Ihre Kritiken veröffentlichen wir hier ungefiltert.
Im Folgenden soll das Theaterstück „Dear Moldova, can we just kiss a little bit?“ unter dem Aspekt der Freiheit rezensiert werden. Hierzu sollte man sich zunächst mit der Definition von Freiheit befassen, um sich einen Überblick über das momentane Festival „Politik im freien Theater“ zu verschaffen.
Laut Lexikon: „Die Möglichkeit, ohne Zwang zwischen verschiedenen Möglichkeiten auswählen zu können. Die Autonomie eines handelnden Subjekts“. Das klingt zunächst ganz verlockend. Doch mit der Freiheit ist das so eine Sache… Es gibt die Freiheit der Meinung, die Freiheit des Willens, die der Handlung. Die Freiheit, wählen zu dürfen, wenn man möchte. Die Freiheit zu zweifeln.
Freiburg im Breisgau, 21. November 2014. Jessica Glause inszeniert in dieser Uraufführung sechs Referenten auf der Bühne, die über ihre sexuelle Orientierung sprechen und darüber, welche Konsequenzen ein Coming-Out in Moldawien hat. Glause zeigt, wie schwierig es in Moldawien ist, homosexuell zu leben.
„Legalisierung von Homosexualität in unserem Land!
Ich bin der Erste, der sie ertränken wird!
Wir haben den Hafen im Süden mit den verrosteten
Schiffswracks. Sperrt sie in die Tanks und [bringt sie]
weit raus auf hohe See!“
Fiodor Ghelici, NRO Moldova Mea, 2012
Homosexualität ist eines des größten Tabuthemas in Moldau. Bedrohungen, Erpressung von Polizisten, Diffamierungen von Freunden und Familienmitgliedern, Mobbing oder gar Entlassungen durch den Arbeitgeber – mit Schikane und Repression müssen Mitglieder der sexuellen Minderheiten tagtäglich rechnen. Über 90 Prozent der moldauischen Bevölkerung sind christlich-orthodox. Schwule und Lesben werden als Bedrohung der traditionellen Familie gesehen: Von Seiten der Politik kann kein Schutz erwartet werden, ganz im Gegenteil: Öffentliche homophobe Diskurse bringen in Moldawien Wählerstimmen ein.
Glause macht dokumentarisches Theater, wie man es von Rimini Protokoll kennt. Die Performance vom dem Stück gibt Einblick in eine moldawische Gesellschaft. Ort des Geschehens ist eine stilisierte, karge, aber intime Küche: Tisch, Kühlschrank, Kochplatte. Hier berichten die Protagonisten von ihrer Scham, ihren Ängsten und Demütigungen, aber auch von ihren Sehnsüchten und Beziehungen. Mit dem Spott der Liebenden beschreibt etwa der 80-jährige Opernsänger Eugen Gînju seinen Lover, den Löwen, der einmal mit sechs Kartoffeln, vier Karotten und zwei Zwiebeln plötzlich vor seiner Tür stand, um für Wochen zu bleiben und sich massieren und bekochen zu lassen. Gekocht wird auch auf der kleinen Bühne des Theaters. Die Akteure schneiden beiläufig Zwiebeln und anderes Gemüse und bereiten gemeinsam in einem großen Kochtopf Borschtsch zu, die traditionelle russische Rote-Beete-Suppe, die auch in Moldawien ein Nationalgericht ist. Am Ende des Stückes werden die Zuschauer eingeladen, mit den Akteuren Borschtsch zu essen. Ein Junge berichtet von seiner Mutter, die sich aus ihrer Ehe löste, um mit ihrer Freundin zusammenzuleben, und was sie dabei zu erleiden hatte und hat. Ein junger Mann (der einzige „richtige“ Schauspieler im Kreis der Laien) spricht von seinem Coming-Out, schwierig für sich und noch mehr für seine Familie. Ein Mädchen schildert ihren verwirrenden Weg bis zur Erkenntnis, dass sie Frauen liebe. Doch am anrührenden ist das Elternpaar, das die Geschichte seines homosexuellen Sohns und des langen Prozesses bis zum Begreifen, Annehmen und Akzeptieren dieser Wahrheit erzählt und dabei auch wunderbar selbstironisch miteinander spielt.
Sie wollen nichts mehr an ihrem Sohn ändern, denn sie haben gelernt, ihn so zu lieben, wie er ist. Und es ist nicht nur die versöhnliche Entwicklung zweier Theatercharaktere, auch in der Realität brachte die Arbeit an diesem Theater-Experiment eine große Veränderung mit sich: Erleichterung erlebten die Eltern Vladimir und Elena auch in ihrem echten Leben, wie sie im Publikumsgespräch berichten. Seit ihrer Arbeit an “Dear Moldova, can we just kiss a little bit?” ist es für sie nicht mehr mit Scham verbunden, die Homosexualität ihres Sohnes öffentlich zu thematisieren. Sie sind jetzt stolz auf ihn. Früher musste die Mutter unweigerlich weinen, wenn sie mit anderen über die Sexualität ihres Sohnes sprach, jetzt tut sie dies nur noch auf der Bühne, in „Dear Moldova, can we just kiss a little bit?“.
Am Ende versammelt sich die Gruppe zum Essen am Tisch, im Hintergrund läuft das Video einer traditionellen moldawischen Hochzeitszeremonie, die Protagonisten sind Männer. Doch bis dahin dürfte es noch ein weiter Weg sein, bislang ist Küssen verboten für gleichgeschlechtliche Paare in der Öffentlichkeit. Aber der Weg besteht aus vielen Schritten, und einen großen davon geht dieses Stück.
Humorvolle, selbstironische und wirklich rührende Momente lockern die rhythmisierte Textcollage auf. Im Kontrast dazu stehen Zitate von Politikern, gruselige Hetztiraden gegen Schwule, und erschreckende Statistiken, die ebenfalls präsentiert werden. So würden 98 Prozent der Moldawier in ihren Familien keine Homosexuellen akzeptieren und in der 90 Prozent der Moldawier nicht in der Nachbarschaft von Homosexuellen leben wollen. Zitate von Politikern und Journalisten verstärken den Eindruck von Homophobie und krassen Ressentiments.
Es bleibt zu hoffen, dass es auch in Moldawien weiter die Resonanz findet, die es verdient, und damit zu einem Wandel des gesellschaftlichen Klimas beiträgt. Was kann Theater Besseres leisten?