Die Laudatio der Preisjury
Sehr geehrte Damen und Herren,
in den letzten zehn Tagen hatten wir das Vergnügen, eine ungeheuer breite Auswahl an Produktionen aus der sogenannten Freien Szene zu sehen. Gemeinsam war allen Arbeiten, dass sie sich sehr differenziert und erhellend mit zentralen gesellschaftlichen Fragen auseinandergesetzt haben, so verschieden sie inhaltlich und ästhetisch auch waren.
Wir haben uns – und das ist überhaupt nicht selbstverständlich bei 15 Stücken in zehn Tagen – nie gelangweilt! Besonders erfreulich war, das uns die vorgefertigten Standpunkte und zum Klischee erstarrten Gesten, die politischer Kunst oft zu eigen sind, nicht begegnet sind. So schön diese Aufgabe für uns war, so schwierig war sie zugleich, wir waren ja verpflichtet, einen Preisträger auszuwählen. Wir haben nach jeder Aufführung ausführlich debattiert und sind uns doch zum Schluss einig gewesen, wen wir auszeichnen möchten: „The Civil Wars“ von Milo Rau und Ensemble.
Begründen wollen wir das zuallererst damit, dass es Milo Rau & Ensemble gelungen ist, dem postdramatischen Theater eine neue Ernsthaftigkeit zu geben. Keine selbstreferenziellen Spielchen, keine permanente Absicherung und Distanzierung, keine Ironie – sondern ein ernster, humorvoller Abend, der seinen Darstellern, seinem Thema und seinen Zuschauern sehr viel zutraut. Politisches und Privates werden kunstvoll verschmolzen, der Bürgerkrieg in Syrien und der Krieg der Bürger im eigenen Wohnzimmer. Erzählungen von abwesenden, gebrochenen, übermächtigen Vätern, von religiösem und individuellen Wahn, Endzeitfantasien verbinden sich zu einem intellektuell und emotional aufwühlenden Erlebnis – ohne, dass dabei die Reflexion der eigenen Methode fehlen würde. Die biographische Erzählung aus dem Leben der Schauspieler machen die momentane Gefährdung der Welt spürbarer, nachvollziehbarer, als Fakten es je könnten. Das liegt nicht zuletzt an der Leistung des fantastischen Darstellerensembles, dem es gelingt, sich in einer strengen Form größte Freiheit zu erspielen.
Wir danken Ihnen sehr für diesen Abend.
Helene Hegemann, Annette Pehnt und Julian Pörksen